Dieser Text fasst Überlegungen und Beobachtungen zusammen, die dazu geführt haben, auf eine eigene Mastodon-Instanz um- und wieder zurückzuziehen.
"Remember, kids: The only difference between screwing around and science is writing it down!"
-- Adam Savage (Mythbusters)
Das Fediverse ist vom Ansatz her dezentral. Es ist eine zentrale (pun intended) Designidee, dass sich nicht alle Personen und Inhalte auf einer Stelle sammeln, sondern verschiedene Instanzen miteinander Beiträge austauschen.
Das macht das Netzwerk redundant. In den vergangenen Tagen waren die "großen" Instanzen am Anschlag durch Neuankömmlinge - eine eigene Instanz ist davon nur nachrangig dadurch betroffen, dass ggf. der Austausch von Inhalten (die "Föderierung") nicht unmittelbar, sondern mit ein wenig Zeitverzögerung erfolgt, bleibt aber verfügbar.
Auch "gehört" das Netzwerk keiner Einzelperson oder Organisation. Es gelten auf jeder Instanz eigene Regeln. Eine eigene Instanz macht es prinzipiell möglich, sich ggf. über Moderationsregeln hinwegzusetzen - um den möglichen Preis, dafür "deföderiert" (also aus dem Dorf verbannt / exkommuniziert) zu werden.
Schlussendlich ist dies vor allem ein Experiment. Man lernt am besten, wie etwas funktioniert, wenn man es in einzelne Teile auseinandernimmt und sich diese genauer anschaut.
Es ist möglich, jedoch schon etwas aufwendig, eine eigene Instanz technisch selbst zu betreiben. Ich habe mich für einen der auf joinmastodon.org gelisteten Anbieter entschieden. Einige davon nehmen aufgrund der gestiegenen Nachfrage gerade keine neuen Kunden auf.
Diese Anbieter übernehmen für kleines Geld den rein technischen Betrieb, fachlich muss man über die Mastodon-Admin-Oberfläche selbst ran. Das schließt zum Beispiel die Moderation von Benutzern, Trends und Inhalten ein.
Auf der eigenen Instanz sind stets nur Inhalte auffindbar, von denen diese erfährt. Suchanfragen werden nicht in der Breite in das komplette Netzwerk weitergeleitet.
Es ist nicht so, dass alle Inhalte automatisch im gesamten dezentralen Netzwerk verteilt werden, sondern nur diejenigen Inhalte "föderiert" werden, an denen Nutzer auf den jeweiligen Instanzen interessiert sind. Konkret weiss die eigene Instanz also nur von Beiträgen, die entweder selbst auf der jeweiligen Instanz verfasst werden, oder von denen, die von gefolgten "auswärtigen" Personen verfasst und im Anschluss an die eigene Instanz föderiert wurden.
Wenn Nutzer A auf Instanz A einen Beitrag verfasst, wird dieser nur dann an Instanz B übertragen, wenn dort eine Benutzerin ist, die Nutzer A folgt.
Es gibt die Möglichkeit, aktiv über eine vollständige URL im Suchfeld eine Instanz nach einzelnen "auswärtigen" Beiträgen oder auch Nutzern suchen zu lassen. In diesem Fall erfährt die Instanz davon und die Inhalte werden übernommen, sind also in der Suche und in der föderierten Timeline künftig auffindbar.
Das bedeutet aber auch, dass man im Vorhinein bereits von den Benutzern oder Beiträgen wissen muss - zum Beispiel durch einen "Besuch" auf den öffentlich sichtbaren Timelines und Trends von anderen Instanzen.
Man sieht also, speziell als Einzelperson, nur Dinge, die man sowieso schon abonniert hat. Es ist nicht sinnvoll möglich, allein auf der eigenen Instanz "über den Tellerrand" zu schauen und so interessante Inhalte zu finden, nach denen man nicht gesucht hat.
Wenn man jedoch auf der eigenen Instanz eine kleine Community mit gleichen Interessen versammelt hat, sieht das ganz anders aus: Der Blick in die lokale Timeline - Beiträge, die auf der Instanz erstellt wurden - sowie in die föderierte Timeline - Beiträge, für die andere Community-Mitglieder sich interessieren - ist dann deutlich lohnender. Hier sind nun potentiell interessante, aber noch nicht abonnierte Inhalte zu finden.
In der anderen Richtung wirkt es sich übrigens genauso aus: Andere Nutzer auf anderen Instanzen erfahren nur dann von verfassten Inhalten, wenn diese aktiv dorthin publiziert werden (z.B. weil einem bereits jemand von der anderen Instanz folgt).
Konkret zeigt sich das auch bei der Suche nach Personen und Themen via Hashtags: Auch hier bekommt man nur Ergebnisse angezeigt, von denen die eigene Instanz weiß. Sucht man ins Blaue hinein nach Benutzern, die vielleicht frisch von Twitter umgezogen sind, findet man diese nur, wenn es bereits ein Beitrag von ihnen auf die eigene Instanz geschafft hat: Es gibt keine netzwerkweite, namensbasierte Personensuche.
Ähnliches gilt für die Suche nach Themen: Suche via Hashtags liefern nur die Ergebnisse, von denen die eigene Instanz bereits erfahren hat. Neue Inhalte entdeckt man auf einer recht isolierten Instanz daher nur schwer bis gar nicht.
Um nun etwas inhaltliche "Starthilfe" zu geben und die oben beschriebenen Punkte anzugehen, gibt es im Fediverse einen Relay-Mechanismus: Instanzen publizieren alle Inhalte zu einem Relay, und auf dem Relay subskibierte Instanzen können alle Inhalte von dort beziehen. Dies füllt auf kleinen Instanzen schnell die föderierte Timeline und die Suchindexe.
Relays haben heute den Nachteil, dass diese Funktion schlecht bis gar nicht dokumentiert ist, und man zum anderen erst ein Relay finden muss, welches die eigene Instanz akzeptiert. In dem Maße, wie fremde Inhalte auf die eigene Instanz eingespielt werden, muss man sich dann natürlich auch aktiv mit der Moderation der Inhalte auseinandersetzen.
Eine weitere Beobachtung, die ich zumindest bei meiner kleinen Instanz gemacht habe: Offenbar kommt die Föderation nicht mit verschachtelten Diskussionsfäden zurecht.
Wenn jemand einen Thread als "lineare Liste" von Antworten auf den jeweils vorherigen Beitrag postet, sehe ich auf dieser Instanz manchmal nur die ersten ein oder zwei Beiträge, nicht jedoch den kompletten Thread. Die "Gegenprobe" auf anderen Instanzen ist dagegen erfolgreich.
Dieses Problem kann verschiedene Ursachen haben, eventuell ist eine der beteiligten Instanzen ungünstig konfiguriert oder mit dem Austausch der Beiträge überlastet.
Es gibt im Fediverse keinen übergreifenden Empfehlungsalgorithmus, die Empfehlungen und Inhalte verteilen sich durch aktives Teilen durch Personen ("The algorithm is people!"). Die lokale und die föderierte Timeline als "Blick über den Tellerrand" werden also um so wertvoller, je mehr das den eigenen Interessen entspricht und sich dort auch Inhalte, die "durch andere verursacht sind", finden. Damit sich dort überhaupt etwas ansammelt, was man nicht selbst schon verfasst oder gelesen hat, sollten auch weitere Personen auf der Instanz unterwegs sein.
Für kleine bis mittlere Communities mit einem gemeinsamen Interesse ("Bläschen") sind eigene Instanzen also hervorragend geeignet: Man kann schnell einen Blick auf inhaltlich verwandte Beiträge, die "Instanz-Nachbarn" abonniert oder verfasst haben, werfen und so auf interessante Inhalte und Kontakte stoßen.
Für Einzelpersonen, aber auch Freunde und Familie, die man als aktive Nutzer an einer Hand abzählen kann, ist eine eigene Instanz dagegen aus meiner Sicht nicht so vorteilhaft.
Letzten Endes haben diese Beobachtungen den Ausschlag gegeben, wieder zurück auf eine der großen Instanzen umzuziehen.